Werdegang I 2001 – 2006 (Michael Kienzle)

Im Juni 2001 gibt die Stutt­gar­ter Stif­tung Geiß­stra­ße 7 ein Denk­blatt her­aus, das an die Depor­ta­tio­nen jüdi­scher Bür­ger vom Inne­ren Nord­bahn­hof in Stutt­gart vor sech­zig Jah­ren erin­nert. Es wird zum Aus­gangs­punkt für das Pro­jekt »Zei­chen der Erin­ne­rung«, das sich zum Ziel gesetzt hat, die Geschich­te des Inne­ren Nord­bahn­hofs auf­zu­ar­bei­ten und im Bewusst­sein zu hal­ten. Zen­tra­ler Bestand­teil die­ses »Zei­chens« soll eine Gedenk­stät­te an den Glei­sen des Inne­ren Nord­bahn­hofs wer­den, von denen aus 1941 die Trans­por­te in den Tod began­nen. Über 2500 jüdi­sche Mit­bür­ger aus Würt­tem­berg wur­den von hier aus depor­tiert; bei­na­he alle wur­den in den Sam­mel- und Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern der Natio­nal­so­zia­lis­ten ermordet.

Um die ange­mes­se­ne Form eines sol­chen »Zei­chens der Erin­ne­rung« zu fin­den, laden die Stif­tung Geiß­stra­ße 7 und der Info­la­den Stutt­gart 21 zu einem inter­na­tio­na­len Work­shop nach Stutt­gart ein. Am 28. Novem­ber 2001 tref­fen etwa sech­zig Stu­den­tin­nen und Stu­den­ten der Archi­tek­tur von der Tech­ni­schen Uni­ver­si­tät Cott­bus, der Fach­hoch­schu­le Nür­tin­gen, der Zür­cher Hoch­schu­le Win­ter­thur, der Fach­hoch­schu­le Kon­stanz, dem Poli­tec­ni­co Mila­no und der Aka­de­mie der Bil­den­den Küns­te Stutt­gart mit ihren Dozen­ten in Stutt­gart ein. Bei der Eröff­nungs­ver­an­stal­tung des fünf­tä­gi­gen Work­shops (28. Novem­ber bis 2. Dezem­ber 2001) im Wil­helms­pa­lais spre­chen der würt­tem­ber­gi­sche Lan­des­rab­bi­ner Joel Ber­ger und der Stutt­gar­ter His­to­ri­ker Eber­hard Jäckel.

Work­shop in der Mar­tins­kir­che am Nord­bahn­hof im November/Dezember 2001

Am nächs­ten Tag hal­ten Roland Mül­ler, Lei­ter des Stutt­gar­ter Stadt­ar­chivs, und Diet­rich Schmidt, Archi­tek­tur­his­to­ri­ker von der Uni­ver­si­tät Stutt­gart, Vor­trä­ge zur Depor­ta­ti­on der Juden aus Würt­tem­berg und zur Gedenk­kul­tur. Anschlie­ßend begin­nen die Stu­den­ten mit der Arbeit an ihren Ent­wür­fen, die von Infor­ma­ti­ons­ver­an­stal­tun­gen zur Geschich­te der Stadt und des Nord­bahn­hofs beglei­tet wird. Zum Abschluss prä­sen­tie­ren die Stu­den­ten ihre Ent­wür­fe, die in den nächs­ten Mona­ten an ihren jewei­li­gen Hoch­schu­len wei­ter aus­ge­ar­bei­tet wer­den. So ent­ste­hen aus den Arbei­ten kon­kre­te Projekte.

Am 27. April 2002 wird mit einer »Flat­ter­band­ak­ti­on« das für das Mahn­mal vor­ge­se­he­ne Gebiet am so genann­ten »C1-Gelän­de« am Inne­ren Nord­bahn­hof mar­kiert und somit sym­bo­lisch ein Anspruch auf das Gelän­de gel­tend gemacht.

Am 4. Mai 2002 wer­den die Arbei­ten der Stu­den­ten im Stutt­gar­ter Rat­haus einer Jury vor­ge­stellt; ihr gehö­ren an: der Archi­tekt Roland Oster­tag, der ehe­ma­li­ge Stutt­gar­ter Ober­bür­ger­meis­ter Man­fred Rom­mel, die Sozi­al­bür­ger­meis­te­rin Gabrie­le Mül­ler-Trim­busch, der Bau­bür­ger­meis­ter Mat­thi­as Hahn, die Stadt­rä­tin­nen Susan­ne Eisen­mann und Hel­ga Ulmer, Michail Fun­da­min­ski von der Israe­li­ti­schen Reli­gi­ons­ge­mein­schaft Würt­tem­berg, Roland Mül­ler, Josef Kle­graf vom Info­la­den Stutt­gart 21, Micha Ull­mann von der Staat­li­chen Aka­de­mie der Bil­den­den Küns­te in Stutt­gart, der Stadt­rat und Vor­stand der Stif­tung Geiß­stra­ße 7, Micha­el Kienz­le, sowie der Prä­si­dent des Kura­to­ri­ums der Stif­tung Geiß­stra­ße 7, Tho­mas D. Barth. Die Preis­sum­me von ein­tau­send Euro wird zu glei­chen Tei­len auf die Ent­wür­fe von Anne-Chris­tin Saß und Ole Saß (Ber­lin) sowie von Isa­bel­le Mül­ler, Cin­dy Mey­er und Kat­ja Schulz (Cott­bus) verteilt.

Der Ent­wurf des Ehe­paars Saß sieht vor, die Schie­nen unver­än­dert zu las­sen und ledig­lich das Gebiet mit Schot­ter auf­zu­fül­len. Ein pas­se­par­tout­ar­tig ange­leg­ter Beton­weg, der einen Blick auf die Glei­se von ver­schie­de­nen Punk­ten aus ermög­licht, soll das Gebiet umschließen.

Die Cott­bu­ser Stu­den­tin­nen leh­nen ihr Kon­zept dar­an an, dass die depor­tier­ten jüdi­schen Bür­ger das Ticket für ihre Fahrt selbst bezah­len muss­ten. Daher sieht ihr Ent­wurf vor, dass an der Gedenk­stät­te Fahr­kar­ten­au­to­ma­ten ste­hen, die eine Archiv­funk­ti­on über­neh­men: Der Besu­cher kann an ihnen bio­gra­phi­sche und his­to­ri­sche Infor­ma­tio­nen abrufen.

Der Gewin­ner­ent­wurf von Anne-Chris­tin und Ole Saß (Ber­lin)

Im Dezem­ber 2003 erhält das Pro­jekt »Zei­chen der Erin­ne­rung« den Aner­ken­nungs­preis der Stutt­gar­ter Bürgerstiftung.

Gar­ry Fabi­an in The­re­si­en­stadt im Sep­tem­ber 2003

Im Juli 2004 wird der Ver­ein »Zei­chen der Erin­ne­rung« gegrün­det (Vor­sitz: Roland Oster­tag, Zwei­te Vor­sit­zen­de: Regi­ne Brei­ners­dor­fer, Schatz­meis­ter: Josef Kle­graf). Der Ver­ein ist nicht nur für das Ein­wer­ben von Spen­den, son­dern auch für die Rea­li­sie­rung der Gedenk­stät­te zuständig.

Im Febru­ar 2005 beschlie­ßen der Aus­schuss für Umwelt und Tech­nik sowie der Ver­wal­tungs­aus­schuss der Stadt Stutt­gart, die Umset­zung des »Zei­chens der Erin­ne­rung« am ehe­ma­li­gen Ort der Depor­ta­tio­nen von Sei­ten der Stadt finan­zi­ell zu unter­stüt­zen. Dabei soll die Hälf­te der anfal­len­den Kos­ten von der Stadt über­nom­men wer­den, unter der Bedin­gung, dass der Ver­ein die ande­re Hälf­te trägt.

Zustand der Gleis­an­la­ge vor 2005:

Im August 2005 fin­det ein zwei­wö­chi­ges Work­camp an den Glei­sen des Nord­bahn­hofs statt.

Im Früh­jahr 2006 lässt die Stif­tung Geiß­stra­ße 7 durch Unitext-Stutt­gart und die Agen­tur Mil­la und Part­ner eine Home­page erstel­len, die umfas­send über die Depor­ta­tio­nen jüdi­scher Mit­bür­ger vom Stutt­gar­ter Nord­bahn­hof infor­miert. Die Home­page dient auch als Infor­ma­ti­ons­sei­te im Rah­men eines Ter­mi­nals ›vor Ort‹. sk

Die Depor­ta­ti­ons­glei­se kurz vor Bau­be­ginn im April 2006

 Micha­el Kienzle