Margit Edith Oppenheimer

* 1921 in Stuttgart

Aus Liebe nach Auschwitz gegangen

Mar­git Edith Oppen­hei­mer wird 1921 als Toch­ter des Vieh­händ­lers Moses Oppen­hei­mer und einer christ­li­chen Mut­ter gebo­ren. Damit ist sie nach jüdi­scher Tra­di­ti­on kei­ne Jüdin. Die Ehe wird geschie­den, als Mar­git noch sehr klein ist. Die Mut­ter hei­ra­tet in Stutt­gart ein zwei­tes Mal, die Kin­der, Mar­git und ihre zwei Geschwis­ter, eine älte­re Schwes­ter und ein Bru­der, wach­sen beim Vater auf. 1935 wird ihr Vater auf­grund der Nürn­ber­ger Ras­sen­ge­set­ze ver­haf­tet. Mar­git und ihr Bru­der kom­men ins Ess­lin­ger Wai­sen­haus, das schon län­ger als Sam­mel­punkt für ein Viel­zahl von jüdi­schen Kin­dern aus der würt­tem­ber­gi­schen Pro­vinz dient, die hier, nach­dem jüdi­schen Kin­der der Besuch nicht-jüdi­scher Schu­len ver­bo­ten wur­de, unter­rich­tet wer­den. Sie lebt sich gut ein und fühlt sich schon bald zu Hau­se. Selbst als sie nach dem Schul­ab­schluss bei einer Fami­lie in Neuf­fen als Haus­mäd­chen arbei­tet, besucht sie immer wie­der das Wai­sen­haus und ver­bringt dort auch die Feri­en. Bei ihrem letz­ten Besuch in Ess­lin­gen gerät sie in die Schre­cken der so genann­ten »Reichs­po­grom­nacht«, in der auch das Wai­sen­haus über­fal­len wird. Sie sucht Zuflucht bei ihrer Mut­ter, deren zwei­ter Mann eben­falls christ­lich ist. Dort kann sie wenigs­tens eine Nacht ver­brin­gen. Ihr Vater wird aus dem Gefäng­nis ent­las­sen, was ihr Hoff­nung macht. Er ist krank und mit­tel­los, aber die jüdi­sche Wohl­fahrt nimmt sich sei­ner an und sorgt so gut es geht für ihn. Er wird jedoch kurz dar­auf ein zwei­tes Mal ver­haf­tet. Die­ses Mal wird er ins Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger Buchen­wald ver­schleppt, wo er Ende 1939 stirbt. Mar­gits älte­re Schwes­ter ist mitt­ler­wei­le nach Däne­mark aus­ge­wan­dert und auch Mar­git Oppen­hei­mer soll nach­kom­men, doch mit dem Kriegs­aus­bruch zer­schlägt sich die­se Mög­lich­keit. Des­halb geht sie zu einem Onkel nach Han­no­ver, wo sie als Lehr­ling in einem jüdi­schen Gärt­ne­rei­be­trieb arbei­tet. Sie ver­sucht in der fol­gen­den Zeit, in Stutt­gart in einem Gärt­ne­rei­be­trieb unter­zu­kom­men. Ihr mit ihrer Mut­ter in Stutt­gart leben­der Stief­va­ter bie­tet an, ihr beim Aus­tritt aus der Jüdi­schen Gemein­de zu hel­fen. Doch nach den Regeln der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ras­sen­ge­set­ze haben Aus­tritt und Kon­fes­si­ons­wech­sel kei­ne Bedeu­tung, ihnen zufol­ge gilt sie als Halb­jü­din. Daher wohnt sie in Stutt­gart im Jüdi­schen Gemein­de­haus in der Hos­pi­tal­stra­ße 36, wo sie oft isst, und beginnt in einer Feu­er­ba­cher Gärt­ne­rei zu arbei­ten. So kann sie auch hin und wie­der heim­lich ihre Mut­ter besu­chen. Im März 1943 wird Mar­git Oppen­hei­mer nach The­re­si­en­stadt depor­tiert, wohin ihr Bru­der schon zuvor gekom­men war. In The­re­si­en­stadt muss sie erst in der Des­in­fek­ti­ons­stel­le arbei­ten, dann in der Schrei­ne­rei Sarg­de­ckel zusam­men­na­geln. Wäh­rend einer Rei­he schwe­rer Erkran­kun­gen – dar­un­ter Typhus, Schar­lach und Enze­pha­li­tis – schöpft sie Kraft durch eine »gro­ße Lie­be«, die sie im Lager ken­nen gelernt hat­te. Vor der geplan­ten Trau­ung in The­re­si­en­stadt wird ihr Ver­lob­ter jedoch einem Trans­port zuge­teilt. Mit viel Mühe gelingt es Mar­git Oppen­hei­mer, obgleich unver­hei­ra­tet, auch in die­sen Trans­port zu kom­men – es stellt sich her­aus, dass er nach Ausch­witz führt. Hier führt der berüch­tig­te Arzt Josef Men­ge­le, auch als »Todes­en­gel von Ausch­witz« bekannt, sei­ne Expe­ri­men­te und Selek­tio­nen durch. Die Grau­sam­keit und Bes­tia­li­tät von Men­ge­les bru­ta­len Men­schen­ver­su­chen steht für die abgrün­di­ge Men­schen­ver­ach­tung, mit der die Natio­nal­so­zia­lis­ten die Ermor­dung der euro­päi­schen Juden pla­nen und durch­füh­ren. Um aus Ausch­witz weg­zu­kom­men mel­det sich Oppen­hei­mer für einen Arbeits­trans­port nahe der tsche­cho­slo­wa­ki­schen Gren­ze. Dort wer­den die noch leben­den Gefan­ge­nen einen Tag vor Kriegs­en­de von den SS-Leu­ten offi­zi­ell an die Tsche­chen über­ge­ben. Sie wer­den ins tsche­chi­sche Nachod gebracht, wo man sie in Fami­li­en unter­bringt. Ihr Ver­lob­ter hat das Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger nicht über­lebt. In Stutt­gart zurück, sieht sie ihre Mut­ter wie­der und auch ihr Bru­der hat über­lebt. Ende 1945 wan­dert Mar­git Edith Oppen­hei­mer über Bel­gi­en nach Paläs­ti­na aus, wo sie von 1946 an in Hai­fa lebt. Sie hei­ra­tet einen Jugend­freund aus dem Ess­lin­ger Wai­sen­haus. sk

Maria Zel­zer: Weg und Schick­sal der Stutt­gar­ter Juden. Ein Gedenk­buch. Hrsg. von der Stadt Stutt­gart. Stutt­gart [1964] (Ver­öf­fent­li­chun­gen des Archivs der Stadt Stutt­gart, Son­der­band). S. 248–254.