Fritz Wisten, geb. Moritz Weinstein

* 25. März 1890 in Wien,
† 12. Dezem­ber 1962 in Berlin

Ein Überleben für das Theater

Am 27. März 1933 erhält der als Moritz Wein­stein gebo­re­ne Fritz Wis­ten – wie alle deut­schen Thea­ter­schaf­fen­den jüdi­scher Abstam­mung – Berufs­ver­bot mit sofor­ti­ger Wirkung.

 

Den belieb­ten Staats­schau­spie­ler und Regis­seur am Würt­tem­ber­gi­schen Lan­des­thea­ter Stutt­gart nennt dieWürt­tem­ber­gi­sche Zei­tung »den wohl inter­es­san­tes­ten deut­schen Schau­spie­ler, den Stutt­gart zur Zeit hat«.

Fritz Wis­ten als Mephis­to in Goe­thes Faust am Würt­tem­ber­gi­schen Lan­des­thea­ter Stutt­gart, 1924

Wis­ten tritt in Stutt­gart und bei Gast­spie­len in ande­ren Städ­ten in klas­si­schen Haupt­rol­len auf wie als Mephis­to in Goe­thes Faust, Richard III von Shake­speare oder Ödi­pus von Sopho­kles, aber eben­so in moder­nen Rol­len, so in Ossip Dymows Schat­ten über Har­lemoder als Gus­tav mit der Hupe in Erich Käst­ners Thea­ter­stück Emil und die Detek­ti­ve. Als der »Jüdi­sche Kul­tur­bund« 1933 in Ber­lin gegrün­det wird, wirkt Wis­ten von Anfang an mit und wird 1939 des­sen künst­le­ri­scher Lei­ter. 1935 insze­niert er dort Geor­ge Ber­nard Shaws Man kann nie wis­sen. Wäh­rend der Novem­ber­po­gro­me wird das Thea­ter des »Jüdi­schen Kul­tur­bun­des« geschlos­sen und Wis­ten ins Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger Sach­sen­hau­sen depor­tiert. Drei Tage spä­ter wird er mit der Auf­for­de­rung wie­der frei­ge­las­sen, das Thea­ter des »Jüdi­schen Kul­tur­bun­des« wei­ter­zu­füh­ren. Am 11. Sep­tem­ber 1941 schließt die Gesta­po den »Jüdi­schen Kul­tur­bund« end­gül­tig. Für die meis­ten jüdi­schen Thea­ter­schaf­fen­den bedeu­tet dies die Depor­ta­ti­on in ein Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger, eini­ge bege­hen vor­her Selbst­mord. Wis­ten ent­geht dem erneu­ten Abtrans­port in ein Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger wegen sei­ner »pri­vi­le­gier­te Misch­ehe« mit der nicht­jü­di­schen Schau­spie­le­rin Ger­trud Wid­mann. Sie gibt dem Druck, sich schei­den zu las­sen, bis zum Zusam­men­bruch des NS-Regimes nicht nach und ret­tet damit das Leben ihres Man­nes. 1942 wer­den bei­de ver­haf­tet. Doch die per­sön­li­che Für­spra­che des spä­te­ren Wider­stands­kämp­fers Wil­helm Cana­ris bewirkt ihre Freilassung.

In ihrem Haus ver­steckt Ger­trud Wis­ten zeit­wei­se zudem unter gro­ßem Risi­ko unter­ge­tauch­te Juden. Bis zum Kriegs­en­de leis­tet Wis­ten Zwangs­ar­beit in einer fein­me­cha­ni­schen Fabrik in Ber­lin. Unmit­tel­bar nach der Befrei­ung insze­niert er Les­sings Nathan der Wei­se am Deut­schen Thea­ter in Ber­lin. 1946 wird Wis­ten Inten­dant des Thea­ters am Schiff­bau­er­damm, der spä­te­ren Volks­büh­ne. Trotz des Baus der Mau­er 1961 behält er sei­nen West­ber­li­ner Wohn­sitz bei und been­det zur Spiel­zeit 1961/1962 sei­ne Arbeit als Schau­spie­ler, Regis­seur und Inten­dant am Thea­ter. lh/bd

Fritz Wis­ten. Drei Leben für das Thea­ter. Stutt­gart 1919–1933, Jüdi­scher Kul­tur­bund, Ber­lin 1945–1962. Hrsg. von der Aka­de­mie der Küns­te Ber­lin. Ber­lin 1990.