Der Killesberg 1939 – 1942
Der Volkspark
Der Killesberg-Park war bis in die 1930er Jahre ein Steinbruch-Gelände. 1935 erhielt Stuttgart den Zuschlag für die 3. Reichsgartenschau. Die Stadt sah darin eine Gelegenheit, sich im NS-Staat mit einem „reichswichtigen” Projekt als „Großstadt zwischen Wald und Reben” zu präsentieren. Trotz rüstungsbedingter Einschränkungen konnte die Schau am 22. April 1939 eröffnet werden. Sie wir für die Stadt ein außerordentlicher Erfolg und gilt im kollektiven Gedächtnis mit Blumenparadies, Lichtspektakeln und Veranstaltungen als Höhepunkt jener Jahre.
Die Deportationen
Im Herbst 1941 wurde der Volkspark zum Sammellager: Stuttgart war einer von 16 Ausgangsorten der ersten Deportationswelle von jüdischen Deutschen. Die Staatspolizei-Leitstelle zwang die Jüdische Gemeinde, für eine als Umsiedlung getarnte Deportation am 1. Dezember tausend Menschen zu benennen. Aus dem ganzen Land wurden ab dem 27. November unter Polizeibegleitung Menschen auf den Killesberg verschleppt. Als Lager fungierten die Ausstellungshallen; Kontrollen und Visitationen fanden in der sog. Ehrenhalle des Reichsnährstands statt. Die Deportation führte vom Inneren Nordbahnhof ins Lager Jungfernhof bei Riga. Viele Menschen starben dort unter furchtbaren Bedingungen oder wurden Ende März 1942 bei einem Massaker im Wald von Bikernieki erschossen.
Eine zweite Deportation führte am 26. April 1942 mit 278 Menschen nach Izbica im Distrikt Lublin, damals ein Zentrum des Massenmords. Niemand überlebte. Wieder befand sich das Sammellager im Volkspark, dieses Mal in der beim Feuerbacher Eingang gelegenen „Ländlichen Gaststätte”. Die Park-Saison 1942 wurde exakt am Tag der Deportation eröffnet.
Sammellager einer dritten Deportation am 22. August 1942 mit tausend vorwiegend älteren Menschen waren erneut die Hallen beim Haupteingang. Die Deportierten wurden ins KZ Theresienstadt verschleppt, viele von dort in Vernichtungslager. Aber auch in diesem Sommer herrschte nochmals Hochbetrieb im Volkspark, der zunehmend als Nutzgarten diente. Die Gebäude im Gartenschaugelände wurden bis Kriegsende weitgehend zerstört.
Das Erinnern 1945 bis heute
Das Gedenken
Schon 1950 fand auf dem Killesberg wieder eine Gartenschau, 1961 eine Bundesgartenschau statt. Offiziell kam die Funktion als Sammellager 1941/42 nicht zur Sprache, obwohl die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit bereits Anstöße für einen Gedenkstein gegeben hatte. Dieser wurde erst 1962 nach einem Entwurf des Bildhauers Ludwig Albrecht von Hauff realisiert; Stadt und Jüdische Gemeinde hatten Text und Standort abqestimmt. Bei der Einweihung am 24. Juni 1962 erklärte Landesrabbiner Dr. Bloch, „der Stein solle erinnern, mahnen und die Herzen aufwühlen”. Seit 1989 finden regelmäßig am Jahrestag der ersten Deportation Gedenkfeiern statt.
→ Rede von David Friedrich Elsäßer am 01.12.2008
Am 14. Juni 2006 wurde an den Deportationsgleisen des Inneren Nordbahnhofs in der Otto-Umfrid-Straße die Gedenkstätte „Zeichen der der Erinnerung” der Öffentlichkeit übergeben. Dort sind auf einer Wand die Namen der Opfer der Deportationen festgehalten.
Zur Orientierung:
Als Ergebnis eines bürgerschaftlichen Engagements konnte am 26. April 2013 der Entwurf „Erinnerungskörper” der Künstlerin Ülkü Süngün am Gedenkstein realisiert werden; zwei Stelen in unmittelbarer Nähe der authentischen Orte informieren über die Geschichte von Volkspark und Sammellager. Ausgehend vom eigenen Schultermaß markiert die Künstlerin einen fiktiven Kreis, indem sie auf die inzwischen historisch gewordene Zahl der Deportierten auf dem Gedenkstein von 1962 zurückgreift. Der individuelle Erinnerungskörper ist Maßstab und Anlass, Möglichkeiten des kollektiven Gedenkens zu hinterfragen.
Anmerkung: Die Texte und der Orientierungsplan sind den beiden Stelen entnommen.
Alle Fotos: Andreas Keller (24.09.2017)
Eine ausgezeichnete, umfassende und reich bebilderte Geschichte des Gedenkens am Gedenkort Killesberg hat im Sommer 2018 Fritz Röhm verfasst. → Gedenkort-Killesberg-Geschichte-des-Gedenkens
Detail-Info auch auf stuttgart.de
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