Alice Haarburger

* 16. Novem­ber 1891 in Reutlingen,
† 26. März 1942 in Riga

Die Bedrohung nicht erkannt – als schwäbisch-jüdische Künstlerin ermordet

Ali­ce Haar­bur­ger wird in Reut­lin­gen als Toch­ter des Fabri­kan­ten Fried­rich Haar­bur­ger gebo­ren. Ihre künst­le­ri­sche Bega­bung zeigt sich schon früh: Bereits aus dem Jahr 1902 sind ers­te Blei­stift­zeich­nun­gen erhal­ten. Ali­ce Haar­bur­ger besucht von die­sem Jahr an auch die höhe­re Töch­ter­schu­le; doch schon 1903 zieht die Fami­lie wegen der bes­se­ren Aus­bil­dungs­mög­lich­kei­ten nach Stutt­gart. Dort geht Ali­ce Haar­bur­ger auf ein Mäd­chen­gym­na­si­um und von 1910 an auf die pri­va­te Mal­schu­le für Damen von Alfred Schmidt. 1911 wird sie Mit­glied des »Würt­tem­ber­gi­schen Male­rin­nen-Ver­eins«, wo sie Kon­tak­te zu bedeu­ten­den würt­tem­ber­gi­schen Male­rin­nen knüp­fen kann. 1917 setzt sie ihre Aus­bil­dung als Male­rin mit einem Stu­di­um an der Aka­de­mie der bil­den­den Küns­te in Stutt­gart fort, spä­ter wech­selt sie an die Münch­ner Debs­chitz-Schu­le. Nach ihrer Rück­kehr Ende der 1920er Jah­re betä­tigt sie sich aktiv im »Male­rin­nen-Ver­ein«: Sie orga­ni­siert Akt­kur­se und Ate­lier­be­su­che und wird im Jahr 1932 zur Ers­ten Schrift­füh­re­rin gewählt. Ali­ce Haar­bur­ger eta­bliert sich in der Stutt­gar­ter Kunst­sze­ne und ver­kauft auch immer wie­der Bil­der. Die­se zei­gen als The­ma vor allem Still­le­ben sowie Stadt- und Land­schafts­an­sich­ten, Por­träts sind sel­te­ner. Haar­bur­ger malt in einem kla­ren Stil, der vor allem Ele­men­te des Spät­im­pres­sio­nis­mus auf­nimmt. Ende 1933 wird der »Würt­tem­ber­gi­sche Male­rin­nen-Ver­ein« gleich­ge­schal­tet und jüdi­sche Künst­ler mit sofor­ti­ger Wir­kung aus­ge­schlos­sen. Zudem wird ein Aus­stel­lungs­ver­bot ver­hängt, wodurch Ali­ce Haar­bur­ger dazu gezwun­gen ist, sich einer jüdi­schen Künst­ler­or­ga­ni­sa­ti­on anzu­schlie­ßen. In den Jah­ren 1935 bis 1937 wirkt sie bei Aus­stel­lun­gen die­ser »Stutt­gar­ter jüdi­schen Kunst­ge­mein­schaft« mit, der Karl Adler, ehe­ma­li­ger Lei­ter des Stutt­gar­ter Kon­ser­va­to­ri­ums für Musik, vor­steht. 1938 wird das Wohn­haus mit Ate­lier in der Danne­cker­stra­ße ent­eig­net und Ali­ce Haar­bur­ger wird in eine so genann­te »Juden­woh­nung« ein­ge­wie­sen. 1940 bean­tragt sie ein Visum für Basel, das sie auch erhält, aber nicht nutzt. Eine unkri­ti­sche Vater­lands­lie­be und die Tat­sa­che, dass ihre bei­den Brü­der im Ers­ten Welt­krieg gedient haben, las­sen sie nicht an eine Depor­ta­ti­on glau­ben. Zwar beginnt sie mit Por­zel­lan­ma­le­rei, um für eine mög­li­che Emi­gra­ti­on gerüs­tet zu sein.

Ihre Über­zeu­gung, dass nach dem Sieg der deut­schen Wehr­macht in Frank­reich die anti­jü­di­schen Maß­nah­men abklin­gen, und nicht zuletzt die Ver­sor­gung ihrer pfle­ge­be­dürf­ti­gen Mut­ter, hal­ten sie jedoch von der Aus­wan­de­rung ab. An ihrem fünf­zigs­ten Geburts­tag, dem 16. Novem­ber 1941, erreicht sie der Befehl der Gesta­po, sich im Eva­ku­ie­rungs­la­ger auf dem Kil­les­berg ein­zu­fin­den. Von dort aus wird sie am 1. Dezem­ber 1941 ins Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger Riga depor­tiert. Am 26. März 1942 wer­den alle Kin­der unter vier­zehn Jah­ren, deren Müt­ter, alle über Fünf­zig­jäh­ri­gen sowie die Arbeits­un­fä­hi­gen zu einem Son­der­trans­port zusam­men­ge­trie­ben. Sie wer­den in das so genann­te »Bir­ken­wäld­chen« gebracht – einer Hin­rich­tungs­stät­te des Riga­er Ghet­tos in einem Hoch­wald – und dort erschos­sen. Ali­ces Mut­ter Fan­ny Haar­bur­ger muss 1942 in eines der Dör­fer umzie­hen, in dem die Natio­nal­so­zia­lis­ten die letz­ten würt­tem­ber­gi­schen Juden kon­zen­trie­ren und stirbt am 1. Juli 1942 in Dell­men­sin­gen bei Ulm. sk

Ali­ce Haar­bur­ger – 1891 Reut­lin­gen – 1942 KZ Riga. Schick­sal einer jüdi­schen Male­rin. Hrsg. von Tho­mas Leon Heck. Begleit­buch zur Gedächt­nis­aus­stel­lung in der Gale­rie Cont­act Böb­lin­gen. Tübin­gen 1992.