Karl Strölin

 

* 21. Okto­ber 1890 in Berlin,
† 21. Janu­ar 1963 in Stuttgart

»Nationaler Sozialist« – lebenslänglich

Am 16. März 1933 ernennt der NSDAP-Gau­lei­ter Wil­helm Murr Karl Ströl­in neben dem gewähl­ten Ober­bür­ger­meis­ters Karl Lau­ten­schla­ger zum Staats­kom­mis­sar. Lau­ten­schla­ger und der gewähl­te Gemein­de­rat sind damit ent­mach­tet. Die Jagd auf Sozi­al­de­mo­kra­ten und Kom­mu­nis­ten nach der so genann­ten »Macht­er­grei­fung« im Janu­ar 1933 begrün­det Ströl­in als »selbst­ver­ständ­li­chen Akt aus­glei­chen­der Gerech­tig­keit und poli­ti­scher Notwendigkeit«.

Bun­ter Nach­mit­tag für Sol­da­ten auf dem Stutt­gar­ter Kil­les­berg
mit Ober­bür­ger­meis­ter Karl Ströl­in, 1940

Ströl­in ent­stammt einer kon­ser­va­ti­ven und anti­re­pu­bli­ka­ni­schen würt­tem­ber­gisch-preu­ßi­schen Offi­ziers- und Beam­ten­fa­mi­lie. Im Armee­dienst steigt er bis zum Haupt­mann auf. Da der Ver­sailler Ver­trag eine Hee­res­re­du­zie­rung vor­sieht, wird er 1920 ent­las­sen. Schnell ori­en­tiert sich Ströl­in neu: Aus­ge­stat­tet mit einem Begab­ten-Sti­pen­di­um stu­diert er Staats­wis­sen­schaf­ten in Gie­ßen und Wien. Nach der Pro­mo­ti­on wird er 1923 Ange­stell­ter im städ­ti­schen Gas­werk, bereits 1927 erfolgt die Ver­be­am­tung. In den fol­gen­den Jah­ren arbei­tet Ströl­in am Auf­bau der ört­li­chen NSDAP mit, doch wagt er es als Beam­ter noch nicht, offi­zi­ell der Par­tei bei­zu­tre­ten. 1931 tritt Ströl­in dann als Spit­zen­kan­di­dat der NSDAP für die Ober­bür­ger­meis­ter­wahl und die Gemein­de­rats­wahl an, anti­se­mi­ti­sche Aus­fäl­le jedoch, die ansons­ten zum Reper­toir natio­nal­so­zia­lis­ti­scher Wahl­re­den gehö­ren, feh­len beim ihm weit­ge­hend. Nach 1933 amtiert Ströl­in nicht nur fak­tisch als Bür­ger­meis­ter, er ist zudem Prä­si­dent des in Stutt­gart ansäs­si­gen »Deut­schen Aus­lands­in­sti­tuts« und des »Inter­na­tio­na­len Ver­bunds für Woh­nungs­we­sen und Städ­te­bau«. Ver­schie­de­ne Aus­lands­rei­sen füh­ren ihn bis Kriegs­be­ginn unter ande­rem in die USA und nach Groß­bri­tan­ni­en. Er gewinnt dabei einen poli­ti­schen Weit­blick, der deut­lich über den ande­rer natio­nal­so­zia­lis­ti­scher Grö­ßen in Würt­tem­berg hin­aus­reicht und der sei­ne spä­te­re Annä­he­rung an Wider­stands­krei­se mit­be­stim­men wird. In den ers­ten Jah­ren setzt er alle Maß­nah­men gegen die Juden ohne Ver­zö­ge­rung um und auch die Depor­ta­tio­nen, die in Stutt­gart im Dezem­ber 1941 begin­nen, fin­den sei­ne Bil­li­gung. Ströl­in und sei­ne Ver­wal­tung hat­ten vie­le anti­jü­di­sche Maß­nah­men mit­ge­tra­gen und umge­setzt. Als er jedoch, auch über Aus­lands­kon­tak­te, vom Aus­maß und »indus­tri­el­len« Ablauf des Völ­ker­mords an den Juden erfährt, wird sein Urteil dif­fe­ren­zier­ter. Vor allem aber der zuneh­men­de Ver­lust an Kom­pe­ten­zen sowie der kata­stro­pha­le Kriegs­ver­lauf las­sen ihn letzt­lich auf eine Abset­zung Hit­lers hin­ar­bei­ten. Ströl­in baut Kon­tak­te zu Gleich­ge­sinn­ten auf, so zum ehe­ma­li­gen Außen­mi­nis­ter Kon­stan­tin von Neu­r­a­th, zu Carl Goer­de­ler, dem ehe­ma­li­gen Leip­zi­ger Ober­bür­ger­meis­ter, oder zu Gene­ral­feld­mar­schall Erwin Rom­mel. Ströl­ins Wider­stand kon­zen­triert sich dabei auf die Per­son Adolf Hit­lers und die schlimms­ten Aus­wüch­se, die er Hit­ler zuschreibt. Er wird sich auch nach Kriegs­en­de noch als »natio­na­ler Sozia­list« bezeich­nen und bleibt den anti­li­be­ra­len und natio­na­len Idea­len der NSDAP ver­bun­den. In der Zeit nach dem 20. Juli 1944 ent­geht er der Ver­fol­gungs- und Ver­haf­tungs­wel­le, da ihm nichts nach­ge­wie­sen wer­den kann. Als sich am 22. April 1945 alli­ier­te Trup­pen Stutt­gart nähern, über­gibt er die Stadt kampf­los und ver­mei­det so wei­te­res Blut­ver­gie­ßen. In der Nach­kriegs­zeit ver­sucht Ströl­in sich zu reha­bi­li­tie­ren: Auf ver­schie­de­ne Ent­na­zi­fi­zie­rungs­pro­zes­se bis Juli 1949 fol­gen Recht­fer­ti­gungs­schrif­ten, die mit­un­ter hohe Auf­la­gen errei­chen. Beruf­lich kann Ströl­in, dem 1951 Dienst­un­fä­hig­keit beschei­nigt wird, nicht wie­der Fuß fas­sen. Im juris­ti­schen Kampf mit der Stadt um sei­ne Pen­si­ons­be­zü­ge setzt er sich vor dem Ver­wal­tungs­ge­richt Stutt­gart durch. Das Gericht beschei­nigt Ströl­in, dass die Beru­fung in das Amt des Ober­bür­ger­meis­ters zwin­gend erfolgt wäre, da er eine »beson­de­re fach­li­che Eig­nung für die­ses Amt gehabt hät­te«. Jedoch ver­kennt das Gericht, dass für sei­ne Ein­set­zung in die­ses Amt die frü­he Mit­glied­schaft in der NSDAP den Aus­schlag gege­ben hat­te. mm

Wal­ter Nacht­mann: Karl Ströl­in – Stutt­gar­ter Ober­bür­ger­meis­ter im »Füh­rer­staat«. Tübin­gen 1995.