21.08.2022 · Biografie Dr. Robert Gutmann

vor­ge­tra­gen von Jes­si­ca Rei­chert, Jugend­gui­de im Gedenk­stät­ten­ver­bund Gäu-Neckar-Alb e.V. bei der Jun­gen Geschichts­werk­statt Tübingen.

Dr. Robert Gut­mann wur­de als fünf­tes Kind der Fabri­kan­ten­fa­mi­lie Gut­mann am 3. April 1873 in Stutt­gart gebo­ren. Mit Aus­zeich­nun­gen been­de­te er das Karls­gym­na­si­um und pro­mo­vier­te an der Uni­ver­si­tät Mün­chen. 1902 eröff­net er in Stutt­gart in der Mari­en­stra­ße 29 als Prak­ti­scher Arzt sei­ne ers­te Pra­xis. Seit 1911 wohn­te er am Mar­kus­platz 1, im 2. Stock. Dort hat­te er dann auch sei­ne Pra­xis.  Im Ers­ten Welt­krieg arbei­te­te er im ärzt­li­chen Dienst an meh­re­ren Laza­ret­ten. Er behan­del­te auch fran­zö­si­sche Ver­wun­de­te, die ihm in einer Anzei­ge öffent­lich ihren Dank aus­spra­chen.  Dr. Gut­mann war nicht ver­hei­ra­tet, den Haus­halt führ­te ihm Frau Pau­li­ne Rei­chen­ba­cher. Sie hat nach 1945 über sein Lei­den und Leben einen kur­zen Bericht verfasst.

Im März 1933 ver­füg­te die Nazi-Regie­rung im Gesetz zur Wie­der­her­stel­lung des Berufs­be­am­ten­tums, dass nur noch Per­so­nen mit soge­nann­ten ari­schen Eltern und Groß­el­tern Beam­te sein könnten.

Dr. Gut­mann durf­te nicht mehr für Kran­ken­häu­ser und Kran­ken­kas­sen arbei­ten, son­dern nur noch Pri­vat­pa­ti­en­ten behan­deln. Bald schon muss­te Dr. Gut­mann Wert­pa­pie­re und Wert­ge­gen­stän­de ver­kau­fen, um sich finan­zi­ell über Was­ser zu halten.

Durch die Nürn­ber­ger Geset­ze vom Sep­tem­ber 1935 wur­den die deut­schen Juden von Reichs­bür­gern zu Staats­an­ge­hö­ri­gen degra­diert, Ehe­schlie­ßun­gen zwi­schen Juden und nicht-Juden oder geschlecht­li­cher Umgang wur­den als soge­nann­te Ras­sen­schan­de ver­bo­ten. Selbst die Beschäf­ti­gung von weib­li­chen Per­so­nen unter 45 Jah­ren in jüdi­schen Haus­hal­ten wur­de unter­sagt.  Zum Glück von Dr. Gut­mann war Frau Rei­chen­ba­cher schon eini­ge Jah­re älter.

Im August 1938 ver­bot ein neu­es Gesetz den jüdi­schen Medi­zi­nern die Bezeich­nung „Arzt“. Als soge­nann­te „Kran­ken­be­hand­ler“ durf­ten sie nur noch jüdi­sche Pati­en­ten ver­sor­gen. Am 1. Sep­tem­ber 1938 for­der­te eine neue Vor­schrift, dass jüdi­sche Män­ner zusätz­lich den Vor­na­men „Isra­el“, jüdi­sche Frau­en den Vor­na­men „Sara“ füh­ren mussten.

Aus Robert Gut­mann war nun der Kran­ken­be­hand­ler Dr. Robert Isra­el Gut­mann geworden.

Auch in Stutt­gart brann­te am 9. Novem­ber 1938 die Syn­ago­ge.  Juden durf­ten nun kei­ne Kon­zer­te, Kinos oder Thea­ter, jüdi­sche Kin­der kei­ne öffent­li­chen Schu­len mehr besu­chen, ihre Füh­rer­schei­ne wur­den ein­ge­zo­gen, ihre Zei­tungs­abon­ne­ments stor­niert. Ab dem 1.September 1941 muss­ten jüdi­sche Män­ner, Frau­en sowie Kin­der ab 6 Jah­ren deut­lich sicht­bar den gel­ben Juden­stern tragen.

Zu die­sem Zeit­punkt wohn­te Dr. Gut­mann schon nicht mehr am Mar­kus­platz 1. Die Gesta­po ver­such­te mit­tels des Geset­zes über Miet­ver­hält­nis­se mit Juden vom April 1939 alle Häu­ser, in denen Juden und nicht-Juden unter einem Dach leb­ten, „juden­frei“ zu machen. Juden ver­lo­ren ihren Mie­ter­schutz und muss­ten in soge­nann­te Juden­häu­ser umzie­hen. In Stutt­gart befan­den sich damals noch etwa 200 Häu­ser mit jüdi­schen Besitzern.

1933 leb­ten etwa 4.900 Juden in Stutt­gart, 1939 waren es noch etwa 2.500. (72)

Auf Anord­nung der Gesta­po muss­te die Haus­be­sit­ze­rin von Mar­kus­platz 1, Frau Brust, ihrem Mie­ter, Dr. Gut­mann, nach 30 Jah­ren schwe­ren Her­zens kün­di­gen. Mit sei­nen fast 70 Jah­ren war Dr. Gut­mann 1941 nun gezwun­gen, in das Haus einer jüdi­schen Fami­lie, die spä­ter depor­tiert wur­de, in die Amei­sen­berg­stra­ße 57B umzu­zie­hen, in einen klei­nen feuch­ten Raum im Unter­ge­schoss zwi­schen Wasch­kü­che und Holzstall.

Im März 1942 zwang die Gesta­po den inzwi­schen an Darm­krebs Erkrank­ten, sich für meh­re­re Tau­send Reichs­mark in ein soge­nann­tes Zwangs-Alters­heim ein­zu­kau­fen. Nicht mal ein hal­bes Jahr wohn­te Dr. Gut­mann in dem her­un­ter­ge­kom­me­nen Schloss Dell­men­sin­gen bei Ulm. Von dort wur­de Dr. Gut­mann am 19. August 1942 mit vie­len ande­ren Alters- und Lei­dens­ge­fähr­ten nach Stutt­gart auf den Kil­les­berg in eine Hal­le der ehe­ma­li­gen Reichs­gar­ten­schau ver­bracht, um dann über den Inne­ren Nord­bahn­hof nach The­re­si­en­stadt, einer ehe­ma­li­gen öster­rei­chi­schen Fes­tung nörd­lich von Prag depor­tiert zu werden.

Dr. Gut­manns Leben endet im KZ The­re­si­en­stadt. Eine Über­le­ben­de berich­tet, dass Dr. Gut­mann schon Anfang Sep­tem­ber 1942 gestor­ben sei, in einem kah­len Raum, auf ein biss­chen Stroh­lie­gend, hilf­los, von unzäh­li­gen Schmeiß­flie­gen bedeckt, sich vor Schmer­zen krüm­mend. So endet das Leben eines Man­nes, nur weil er ein Jude war.

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