Garry (Gerhard) Fabian

* 11. Janu­ar 1934 in Stuttgart

»Eine neue Welt erobern, wo wir ohne die Schatten der Vergangenheit leben konnten«

Als Ger­hard Fabi­an im Win­ter 1947/48 mit sei­nen Eltern Euro­pa ver­lässt, will die Fami­lie vor allem die Schat­ten ihrer dunk­len Erin­ne­run­gen an das Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger The­re­si­en­stadt hin­ter sich las­sen. Über sieb­zehn Mona­te waren sie dort gefan­gen gehal­ten wor­den, nun hof­fen sie auf einen Neu­be­ginn in Australien.

Ger­hard Fabi­an wird Anfang 1934 in Stutt­gart gebo­ren, wohin die Eltern erst weni­ge Mona­te zuvor gezo­gen waren. Nach der Ver­schär­fung der anti­jü­di­schen Maß­nah­men durch die Nürn­ber­ger Geset­ze kau­fen sein Vater und die Groß­el­tern müt­ter­li­cher­seits im tsche­chi­schen Boden­bach eine Fabrik für chir­ur­gi­sche Instru­men­te. Hier – so hofft die Fami­lie – ist sie vor dem anwach­sen­den Ter­ror der Natio­nal­so­zia­lis­ten sicher. Doch im Sep­tem­ber 1938 lässt Hit­ler das Sude­ten­land, die Grenz­re­gi­on Tsche­chi­ens zu Deutsch­land, in der auch Boden­bach liegt, beset­zen. Aber­mals muss die Fami­lie flie­hen. Nach eini­gen Irr­we­gen kann sie in Prag unter­tau­chen. Obwohl Deutsch­land inzwi­schen allen jüdi­schen Bür­gern die Staats­an­ge­hö­rig­keit genom­men hat, gel­ten sie für die tsche­chi­schen Behör­den als Deut­sche. Auch die Fami­lie Fabi­an lebt daher ille­gal in Prag. Mit schlecht bezahl­ten Gele­gen­heits­ar­bei­ten und häu­fi­gen Quar­tier­wech­seln ent­geht die Fami­lie der Aus­wei­sung. Im März 1939 okku­piert die Wehr­macht auch die bis­lang noch frei­en Tei­le Tsche­chi­ens. Zum drit­ten Mal gera­ten damit Ger­hard Fabi­an und sei­ne Fami­lie unter die Herr­schaft der Natio­nal­so­zia­lis­ten. Obwohl sie nun den ver­schie­de­nen anti­jü­di­schen Geset­zen unter­wor­fen sind, sta­bi­li­siert sich para­do­xer­wei­se vor­erst ihre Situa­ti­on. Sie sind offi­zi­ell als Bewoh­ner Prags gemel­det und erhal­ten eine Wohnung.

Im Juli 1941 ermor­den tsche­chi­sche Wider­stands­kämp­fer Rein­hard Heyd­rich, den obers­ten Ver­tre­ter des deut­schen Regimes im besetz­ten Tsche­chi­en. Die Natio­nal­so­zia­lis­ten ant­wor­ten mit Erschie­ßun­gen und Ter­ror­maß­nah­men. Nur weni­ge Wochen spä­ter wird die alte Gar­ni­sons­stadt The­re­si­en­stadt in ein gro­ßes Ghet­to für tsche­chi­sche und deut­sche Juden umge­wan­delt. Im Novem­ber 1942 wer­den auch Fabi­an und sei­ne Fami­lie nach The­re­si­en­stadt depor­tiert. Sei­ne Groß­el­tern über­le­ben nicht, Fabi­an selbst erkrankt mehr­fach, erholt sich aber wie­der. Kaum zehn Jah­ren alt wird er zur Zwangs­ar­beit ein­ge­teilt und muss Uni­form­tei­le nähen. Ende 1944 tref­fen Trans­por­te aus den auf­ge­lös­ten Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern im Osten in The­re­si­en­stadt ein. Die aus­ge­hun­ger­ten und aus­ge­mer­gel­ten Men­schen bestä­ti­gen den ent­setz­ten Bewoh­nern die Exis­tenz von Ver­nich­tungs­la­gern, an die bis­her vie­le nicht hat­ten glau­ben wol­len. Hoff­nung auf Befrei­ung und die Angst, in den letz­ten Wochen doch noch Opfer der Ver­nich­tungs­po­li­tik der Natio­nal­so­zia­lis­ten zu wer­den, wech­seln sich ab, ehe Anfang Mai 1945 die Rote Armee The­re­si­en­stadt befreit. Fabi­an und sei­ne Eltern haben über­lebt, doch von 15 000 Kin­dern, die im Lauf der Jah­re nach Anga­be Fabi­ans ins Lager kamen, erleb­ten nur ein­hun­dert­fünf­zig ihre Befreiung.

Im Juli ver­lässt die Fami­lie The­re­si­en­stadt und geht nach Boden­bach zurück. Fabi­an besucht jetzt zum ers­ten Mal durch­ge­hend die Schu­le und kann 1947 sei­ne Bar Miz­wa, den Ein­tritt in die Gemein­schaft der jüdi­schen Erwach­se­nen, fei­ern. Doch abge­se­hen von solch raren Fest­ta­gen ist die Situa­ti­on der Fami­lie pro­ble­ma­tisch. Die Abfin­dung für die kon­fis­zier­te Fir­ma wird vom tsche­chi­schen Staat nicht bezahlt, zudem wird das poli­ti­sche Kli­ma unter sowje­ti­schem Ein­fluss für Juden spür­bar käl­ter. Noch­mals bre­chen daher Fabi­an und sei­ne Fami­lie auf; 1948 ist die Emi­gra­ti­on in ihre neue Hei­mat Aus­tra­li­en abge­schlos­sen. 1952 wird Fabi­an aus­tra­li­scher Staats­bür­ger und tauscht den Vor­na­men Ger­hard gegen Gar­ry ein. 1987 kehrt er erst­mals nach Euro­pa zurück und besucht dabei auch The­re­si­en­stadt. 2001 kommt er auf Ein­la­dung der Stadt auch nach Stutt­gart und lernt Inge Auer­ba­cher ken­nen, die wie er als Kind in The­re­si­en­stadt inter­niert war. Bei­de hat­ten nicht geglaubt, dass außer ihnen selbst ein ande­res Kind aus Stutt­gart das Lager über­lebt hat. 2004 machen sich Auer­ba­cher und Fabi­an auf Initia­ti­ve der Stif­tung Geiß­stra­ße 7 noch­mals gemein­sam auf den Weg nach The­re­si­en­stadt. Die Fahrt wird von deut­schen Jugend­li­chen beglei­tet. Die bewe­gen­den Erin­ne­run­gen von Auer­ba­cher und Fabi­an, ihre inten­si­ven Gesprä­che mit­ein­an­der und mit den beglei­ten­den Jugend­li­chen wer­den in Text und Film doku­men­tiert. hs

Gar­ry Fabi­an in The­re­si­en­stadt, Sep­tem­ber 2003

Gar­ry (Ger­hard) Fabi­an: Blick zurück. Wie ein Stutt­gar­ter Jude das KZ The­re­si­en­stadt über­lebt hat. Hai­ger­loch 2006.