Roland Ostertag 22.11.2012
Zigeuner, Sinti und Roma ⋅ Holocaust – Porajmos
Am 24. Oktober 2012 wurde das Mahnmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas zwischen Brandenburger Tor und Reichstagsgebäude eingeweiht. Sechs Millionen Juden, eine halbe Million Sinti und Roma wurden ermordet, die zweitgrößte Opfergruppe unter der Nazi-Herrschaft.
Die Errichtung des Mahnmals am Brandenburger Tor, Erinnerung an den Holocaust, den Völkermord an den Juden dauerte bis 2005 rund 60 Jahre, Die Errichtung des Mahnmals im Tiergarten gegenüber dem Holocaust-Denkmal für die Ermordung der Homosexuellen dauerte bis 2008 rund 65 Jahre, die Errichtung des Mahnmals für die Ermordung der Sinti und Roma, im Tiergarten gegenüber dem Reichstag, Erinnerung an den Porajmos, das große „Verschlingen”, in der Sprache der Roma, dauerte bis 2012 rund 70 Jahre. Unverständlich die lange Zeit, auch die Trennung, der Mahnmale der Opfergruppen. Warum haben es die Opfergruppen, die Politik nicht geschafft, für alle von den Nazis Verfolgten, Umgebrachten, Juden, Zigeuner, Homosexuellen, den anderen Opfergruppen ein gemeinsames Mahnmal zu errichten? Gemeinsam in den Tod geschickt, ermordet, und nach 60, 70, 80 Jahren getrennte Orte des Erinnems, des Gedenkens. Nachdenklich stimmend.
Wer sind sie, woher kommen sie, warum wurden sie verfolgt, ermordet, die Zigeuner, die Sinti und Roma?
„Zigeuner” und ähnliche Bezeichnungen, deren Herkunft noch ungeklärt ist, werden in vielen Ländern, vor allem romanischen / südosteuropäischen, für diese Minderheitsgruppen verwendet. Häufig diskriminierend, vor allem im Deutschen negativ besetzt. International hat sich der Begriff Sinti und Roma als die häufigste Bezeichnung eingeführt. Sinti leitet sich von der Herkunft ihrer Vorfahren aus der Region Sindh aus dem Nordwesten Indiens, dem heutigen Pakistan, ab und wird hauptsächlich für die mitteleuropäischen Gruppen verwendet. Roma als Sammelname außerhalb des deutschen Sprachraums, vor allem für Gruppen aus dem südosteuropäischen Raum.
Die EU-Kommission, betrachtet die Roma als größte transnationale Minderheit Europas, Geschätzt werden weltweit rund 12 Millionen. Davon in Europa etwa acht Millionen, in Rumänien etwa zwei Millionen, zehn Prozent der Bevölkerung der Slowakei sind Roma, auch in anderen Balkanstaaten ein großer Teil, dann in Frankreich, Spanien. In Deutschland leben seit 600 Jahren Sinti und Roma, heute knapp 100 000, davon ca. 60 000 Sinti und ca. 40 000 Roma, überwiegend deutsche Staatsangehörige, meist katholischer Konfession. Es ist keine homogene Bevölkerungsgruppe wie die Juden, mit gemeinsamer Vergangenheit, Geschichte, Religion. Selbst nicht innerhalb der jeweiligen Nationalstaaten. Es ist kein staatsbildendes Volk, haben keine gemeinsamen Autoritäten, nur eine bescheidene Schriftkultur. Sind gegliedert in eine große Zahl ethnischer Gruppen. Träger der sozialen Organisation, der kulturellen Überlieferung sind die Sippen, der Clan, die Familien.
Es eint sie die historische Herkunft aus Indien, es eint sie die dunklere Hautfarbe, die Sprache, das Romanes als Indiz für ihre Herkunft, es eint sie die jahrhundertelange Verfolgung durch die hellhäutigen Mehrheiten und daraus erwachsene Erfahrungen, es eint sie ein reicher Schatz an mündlichen Überlieferungen, an Erzählungen, Märchen, Liedern, Musik, handwerklicher Fähigkeiten und Traditionen. Wohnen weniger häufig in Gebäuden, eher in beweglichen, temporären Behausungen, in Ghettos.
Geschichte:
Die Zigeuner, die Sinti und Roma ein immer vertriebenes, auf der Flucht befindliches Volk, „fahrendes Volk”. Aus Indien flüchtend, ab dem 11. Jahrhundert im Mittleren Osten, in Osteuropa, auf dem Balkan, ab dem 14. Jahrhundert in Mitteleuropa, ab 1500 in England, ab 1700 in Nordamerika. Wurden in diesen Ländern – wie die Juden – unterdrückt, ausgegrenzt, verfolgt, weiter vertrieben. Trotz ihres katholischen Glaubens verstärkt im 15. und 16.Jahrhundert im Heiligen Römischen Reich, zur Verfolgung, ja Ausrottung freigegeben. Überall zum Weiterwandern gezwungen, Flucht ist das normale Leben. Im 18. und 19. Jahrhundert wurden in Mitteleuropa, Österreich, Preußen Versuche unternommen sie in die jeweilige Gesellschaft zu integrieren. Im Zuge der Emanzipationsbestrebungen wurden Teile sesshaft wie die Mehrheitsbevölkerung, Teile überlebten als fahrendes Volk. Geduldet als Händler, Schausteller, Künstler, Musiker. Grosse Bereiche ihrer kulturellen Überlieferungen, Eigenarten wurden jedoch als „minderwertig” abgelehnt. Im Zuge der Gründung, Definition und Stabilisierung der Nationalstaaten im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert wurden die Ausgrenzungen, Vertreibungen, Unterdrückungen der Sinti/Roma – auch anderer Minderheiten, wie die Juden – in Deutschland und anderen europäischen Ländern wieder verstärkt, sie wurden zu Unerwünschten, als rassistisch Minderwertige diffamiert. Besonders in Deutschland wurde die Unterdrückung, Diffamierung der Minderheitsgruppen bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts verschärft, auch in der Weimarer Republik. Vom nationalsozialistischen Regime fortgesetzt. Die Mehrheitsbevölkerung begrüßte diese fremdenfeindliche, rassistische Politik gegen missliebig erklärte Personen- und Bevölkerungsgruppen, sie nahm sie bereits ehe die Nazis 1933 die Macht übernahmen, duldend zur Kenntnis. Danach wurden durch Rassengesetze, Blutschutzgesetz, Nürnberger Gesetze, Ehe-Gesundheitsgesetz Juden, die Zigeuner und andere Gruppen als „Artfremde” aus der Gesellschaft ausgegrenzt. In Ziel und Weg, der Zeitschrift des Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebundes 1938: „Juden und Zigeuner seien wie ‚Ratten, Wanzen und Flöhe‘ zwar ‚gottgewollte Wesen‘, dennoch müsse man diese wie jene ‚biologisch allmählich ausmerzen‘.” Sie und andere Opfergruppen wurden inhaftiert, in Konzentrationslager deportiert, gefoltert, ermordet. Völkermord, Genocid, Holocaust, Schoa, Porajmos wurden hemmungslos organisiert, durchgeführt: sechs Millionen Juden und eine halbe Million Sinti und Roma wurden umgebracht.
Nachkriegszeit:
Besonders beschämend, dass nach Ende des Krieges die Verunglimpfung der Zigeuner fortgesetzt wurde. Jahrzehnte dauerte es, die Mehrheitsbevölkerung, die Täter, zu überzeugen, dass auch die Sinti und Roma/Zigeuner im Dritten Reich verfolgt und ermordet wurden. Ein dunkles Kapitel unserer Geschichte. Sie wurden, teilweise von denselben Personen, die im Dritten Reich an der Verfolgung beteiligt waren, auch in der Bundesrepublik, weiterhin ausgegrenzt, diffamiert. Die 50er und 60er Jahre waren „vom Großen Vergessen und Verdrängen” geprägt. „Aus SS-Männern wurden Polizisten”. Ende der 50er Jahre hatten über die Hälfte der leitenden Beamten des Bundeskriminalamtes, des Auswärtigen Amtes und anderer Ämter nazistische Vergangenheit. Es gab keine „Stunde Null”. Im Freistaat Bayern wurde 1953 eine diskriminierende „bayerische Landfahrerordnung” erlassen und von anderen Bundesländern übernommen. Die überlebenden Sinti und Roma wurden bei der Entschädigung benachteiligt, Wiedergutmachung häufig verweigert, durch polizeiliche Maßnahmen drangsaliert. Selbst der Bundesgerichtshof ‑BGH- verschärfte durch seine Urteile deren Situation. Erst durch die Feststellung ihrer Grundgesetzwidrigkeit wurde die Landfahrerordnung außer Kraft gesetzt. Ende der 70er Jahre wurden Interessenverbände der Zigeuner gegründet, die sich 1982 im „Zentralrat der Deutschen Sinti und Roma” mit Sitz in Heidelberg zusammenschlossen. 1982, fast 40 Jahre nachdem das Dritte Reich in den Orkus fuhr, formulierte damals Bundeskanzler Helmut Schmid: „Den Sinti und Roma ist durch die NS-Diktatur schweres Unrecht zugeführt worden. Sie wurden aus rassischen Gründen verfolgt und ermordet. Diese Verbrechen haben den Tatbestand des Völkermords erfüllt”. Mühsam erreichte der Zentralrat eine veränderte Entschädigungspraxis, die Anerkennung als Staatenlose, das Recht auf Freizügigkeit. Nach der Unterzeichnung 1995/1997 durch die Bundesregierung des Europäischen Minderheitenschutzabkommens wurden sie als nationale Minderheit anerkannt.
Spät, zu Beginn der 80er Jahre wurde die Errichtung eines Mahnmals für die ermordeten Sinti und Roma in Berlin vorgeschlagen. Auch die Geschichte des Mahnmals ist nachdenklich stimmend, beschämend. Warum hat es bis 2012 gedauert, seine so späte Errichtung und Einweihung? Ursachen: das Erbe der Nazi‑, der Nachkriegszeit, die weitere Diskriminierung, der latente Rassismus, die Fremdenfeindlichkeit, der noch vorhandene Antiziganismus, das mangelnde Wissen der Politiker, der Mehrheitsbevölkerung.
ENDLICH, war das am deutlichsten im Räume stehende Wort bei der Einweihung. Romani Rose, der Vorsitzende beklagt bei der Einweihung die “jahrzehntelange Verleugnung des Völkermords an den Sinti und Roma”. Bis vor wenigen Jahren seien sie ausgeschlossen worden „von jeder moralischen, rechtlichen und politischen Entschädigung”. Seine Hoffnung sei, „dass der Holocaust, der Porajmos an den Sinti und Roma Teil des historischen Gedächtnisses unseres Landes, Deutschlands, wird”. Er spricht auch von einem „neuen, zunehmend gewaltbereiten Rassismus, Fremdenfeindlichkeit in Deutschland.
Zoni Weisz, ein Überlebender, stellvertretend für die Hundert Tausende Ermordeter, für die wenigen noch lebenden Zeitzeugen, niederländischer Blumengroßhändler, erzählt bei der Einweihung seine ergreifende Geschichte der Deportation. Spricht vom „vergessenen Holocaust, wenig, sehr wenig, weiß die Welt von dem Völkermord an den Sinti und Roma”. „Da kam der Zug, in dem sich bereits mein Vater” unterbricht, spricht stockend weiter „und meine Mutter … und „meine kleine Schwester befanden”, die er zum letztenmal sah. Weisz erzählt von den Viehwaggons, mit denen die Sinti, seine Angehörigen 1944 nach Auschwitz deportiert wurden. Er unterdrückt Tränen. „Ein Kind im Alter von sieben Jahre. Ein „Zigeunerjunge” war ich damals. Alles hatte ich verloren. Ich war allein”. Ein Wachmann hat ihn gerettet, vor dem Tod. Die „Erinnerung an das unmenschliche Geschehen hat sich für immer eingebrannt”. Aber eben nicht bei allen, wörtlich: „Nichts, fast nichts hat die Gesellschaft daraus gelernt, sonst würde man jetzt auf andere Art und Weise mit uns umgehen”. Zum Schluss angesichts des Mahnmals: „Endlich, das Denkmal, eine Art von Wiedergutmachung / Erinnerung, eine spürbare Anerkennung für das von unserem Volk durchlebte unfassbare Leid”. Doch dem Wort Zigeuner haftet wie vor 1933, nach 1933, nach 1945, nach dem Mauerfall, eine diskriminierende Einschätzung an. Sonst könnte ein bekannter Politiker nicht formulieren „das Mahnmal in Berlin den als Zigeuner verfolgten Sinti und Roma zu widmen”.
Das Denkmal ist ein beeindruckendes Zeichen für die Geschichte, die Leiden, die Hoffnungen dieser Menschen, der Sinti und Roma, der Zigeuner, des israelitischen Künstlers Dani Karavan. Ein kreisrundes Becken mit Wasser, ein schwarzer abgrundtiefer Spiegel, ein „See von Tränen”, in dem sich der Himmel, mal dunkel, mal hell spiegelt. In der Mitte des Beckens ein dreieckiger Sockel. Das Dreieck, den die Zigeuner in Nazideutschland tragen mussten, wie die Juden den fünfzackigen Stern, auf den täglich aus dem Untergrund eine Blume gelegt wird. Seltsam, wunderlich.
Um die Inschrift des Denkmals fand unter den verschiedenen Sinti/Roma-Gruppen ein jahrelanger Streit statt. Schliesslicher Kompromiss die Zeilen des Gedichtes „Auschwitz” des italienischen Roma-Dichters Santino Spinelli, in dem die umstrittenen Begriffe nicht vorkommen, auf dem Rand des schwarzen Wasserbeckens des Mahnmals:
“Eingefallenes Gesicht/erloschene Augen/kalte Lippen/Stille/ein zerrissenes Herz/ohne Atem/ohne Worte/ keine Tränen”.
Tafeln erzählen die Chronik, die Geschichte des Porajmos.
Ausblick, Epilog
500 000 Zigeuner, Kinder, Frauen, Männer, wurden ermordet. Wir Deutsche haben eine besondere Verpflichtung gegenüber den bei uns lebenden Sinti und Roma, meist deutsche Staatsangehörige. Mitten in der EU, im Vereinten Europa leben heute wieder Millionen dieser Menschen wie „auf einer Insel der Dritten Welt in der Ersten”. Wenn wir ehrlich sind, stellen wir fest, dass sich in den vergangenen Jahren daran wenig änderte. Sie werden nach wie vor ausgegrenzt, diskriminiert, abgeschoben, wie jüngst vom ehemaligen französischen Staatspräsidenten Sarkozy, der durch erklärte Fremdenfeindlichkeit versuchte Stimmen für seine Wiederwahl zu gewinnen, wie das rassistische Verhalten einiger südeuropäischer Staaten, Rumänien, Bulgarien zeigt. Auch in Deutschland nur ein bescheidenes Verständnis für ihre Situation, nur geringe Kenntnis ihrer Geschichte, wie die augenblickliche Asyl-Diskussion zeigt. Die Roma sind nach wie vor Fremde in der Gesellschaft, im jeweiligen Land/Nation. Durch ihre besondere Geschichte, nie staatsbildendes Volk, nie sesshaft, ständig auf Wanderung, „fahrendes Volk”. Durch ihr Unter-sich-bleiben-wollen, des Abseits-Wohnens. Durch ihre soziale Gliederung, in Sippen, Clans, Familien, ihre soziale Isolation. Seit Jahrhunderten verfolgt, ausgegrenzt. Durch ihre katastrophale Bildungssituation, Analphabetismus vor allem durch die nach wie vor vorhandenen Vorurteile der Mehrheitsbevölkerung. Die Politik macht sich wenig, gar keine Gedanken über diese fest‑, diese verfahrene Situation. Obwohl Deutsche leiden sie unter der zunehmenden Fremden‑, Ausländerfeindlichkeit. Dies unterstreichen die jüngsten Ereignisse, die Morde und Umtriebe der bundesweiten Terrorvereinigung (NSU) und das Versagen dabei nicht nur der zuständigen Behörden. Dies wird vor allem durch den kürzlich veröffentlichten 200-seitigen Bericht des 2009 einberufenen unabhängigen Expertenkreis „Antisemitismus”, unterstrichen. Darin wird die zunehmende Ausländer-/Fremdenfeindlichkeit belegt, „überlagert von anderen Feindbildern und Themenkomplexen, wie „Muslime”, „Globalisierung”, „Überfremdung”. Hingewiesen wird nicht nur auf Einstellungen und Tendenzen in der rechten Szene, sondern auch auf „die tiefe fremdenfeindlicher Stereotype und Wahrnehmungsmuster in der Alltagskultur, bei „privaten Geselligkeiten, Kneipengesprächen”. Verheerend „die durch den Expertenkreis ausgewerteten demoskopischen Untersuchungen, die übereinstimmend eine Größenordnung von über 20 Prozent latenter Fremdenfeindlichkeit ergeben.”
Die Lösung der Roma-Problematik kommt nur langsam, mühsam voran, „Tagebuch einer Schnecke”. Keine befriedigende Lösung in Sicht. Die Frage ist naheliegend und berechtigt: soll sie überhaupt in der bisherigen Art und Weise vorankommen? Sie sind noch heute, und werden es bleiben, unangepasst, an eine immer eindimensionalere umgebende Arbeits- und Lebenswelt. Einige werden die Integration in unsere Gesellschaft schaffen, wenige über die Bildungsinstitutionen, viele, die meisten werden weiterhin als „fahrendes Volk” zwischen den Staaten des Vereinigten Europas wandern, hoffnungslos hoffend, mit erbärmlichem Auskommen. Wir sind uns sicher einig, dieser Zustand kann und soll so nicht bleiben. Ist das Wiederholen gängiger Worte im überkommenen Sinne/Praxis wie Integration, Anpassung, an wen? an was? Toleranz, das nur Duldung meint, eine Lösung? Noch weniger eine Lösung in einer bindungslosen Weitläufigkeit des zeitgenössischen Jetsets, einer weltläufigen Kreditkarten-Bürgerschaft, der weltweiten Urlaubswelt? Das Denken und Handeln in diesen Kategorien sind überholte, falsche Ansatzpunkte. Was bedeutet dies angesichts dieser komplizierten Problematik? Zunächst: Kann man aus seiner Geschichte, Vergangenheit flüchten? Lassen sich jahrhundertealte Sitten, Erfahrungen, Lebensweisen, andersartige Sozialstrukturen, in wenigen Jahren überwinden? Kann man sie, soll man sie überhaupt?
Eine Lösung lässt sich nur im Rahmen einer europäischen, einer weltumspannenden Zivilgesellschaft, einer global society finden. Das Nachdenken zwingt uns Begriffe wie Anpassung, Integration, Toleranz, im überkommenen Sinne, in bisherigen Denkkategorien neu, anders zu betrachten, zu definieren. Anstelle äußerlichem Anpassen, die Andersartigkeit akzeptieren, ja begrüßen. Anstelle Integration in Bestehendes, Auf-einander-zugehen, ‑zuhören. Anstelle Toleranz/Duldung Respekt/Achtung auch von und gegenüber Anderen. Anstelle Einheits-Mehrheitsgesellschaft, Mannigfaltigkeit, positiv-konstruktiv akzeptieren. Heimat nicht nur als äußerlich-örtliche, sie auch als eine innere Kategorie auffassen. Heimat ist der Ort wo ich verstehe und ich verstanden werde.
Wir sollten endlich akzeptieren, alle Menschen sind Menschen, unabhängig von Hautfarbe, Sprache, Land/Ort. „Kein Mensch ist dafür verantwortlich, mit welcher Hautfarbe, mit welcher Sprache oder in welchem Land er geboren wird/wurde”.
Bei Nachdenken entdecken wir, dass die Antike vor ähnlichen Fragen angesichts der vielen Völker des griechisch-römischen Riesenreiches, stand. Damalige Antworten: Aristoteles: „Gerade wenn es einen in die Fremde verschlagen hat, kann er leicht erkennen, wie eng vertraut jeder Mensch jedem Menschen ist und wie sehr ein Freund”. Seneca: „Die Natur hat uns aus demselben Ursprung und zu demselben Leben geboren…” Cicero: „…ja dass ein Mensch einen anderen Menschen schon deshalb, weil er ein Mensch ist, nicht als einen Fremden ansehen darf”.
Das „Ende der kriegerischen, Geschichte” wurde beschworen. Die kosmopolitische Weltoffenheit, ‑bürgerschaft, die Ökumene, für die Menschen jeglicher Hautfarbe, Religion, Kultur als Perspektive/Vision wurde geboren, gefordert. Marc Aurel, Philosoph und Kaiser beschwört die Menschheitsgemeinschaft, die Kosmopolis als Zukunft der/seiner Welt. Die Mitverantwortung für das Tun und Leiden aller ihrer Mitmenschen. Machen wir diese Ethik endlich wahr. Wir sind aufgefordert das Denken und Handeln in Kategorien der Nationalstaaten zu überwinden. Es wird Europa, nicht des EURO, sondern die europäische, die Weltgesellschaft, ‑gemeinschaft‑, die Welt der Regionen, eine offene, streitbare Zivilgesellschaft und damit verbundene Verantwortung beschworen. Damit sind wir auf einem richtigen Weg. Die Einweihung des Mahnmals für die Sinti und Roma ein kleiner Schritt dorthin. Auch die beabsichtigte Aufnahme „einiger kleinen Worte”, in die Landesverfassung von Schleswig-Holstein, auch wie die Friesen und Dänen, die „Sinti und Roma haben Anspruch auf Schutz und Förderung”. Vielleicht stellen wir bei unseren Bemühungen fest, dass die Sinti und Roma in mancher Hinsicht weiter sind wie wir, dieser Entwicklung voraus sind. Freizügig, gebunden-ungebunden, „fahrendes Volk”, nicht auf Staaten bezogen, eher auf Regionen. Ein langer, mühsamer Weg vor uns, Geduld und Hartnäckigkeit erforderlich, Sisyphos unser Vorbild. Wenn alle sich bemühen, die Mehrheitsbevölkerung, die Politik, die Zigeuner, die Sinti und Roma, werden wir es schaffen. Dabei die Hoffnung nicht aufgeben, wie einen Brief ohne Adresse.