15.03.2008 · Barbara Traub

Barbara Traub, Israelitische Religionsgemeinschaft Württemberg


Grußworte

Ver­ehr­te Anwe­sen­de, ich möch­te zu Ihnen eini­ge Wor­te spre­chen – ich bin dar­auf nicht vor­be­rei­tet – ich spre­che also aus dem Steg­reif zu Ihnen, aber Sie hören aus mei­ner Stim­me die Betrof­fen­heit, die ich mit Ihnen mit­füh­len kann, an einem Tag, an dem wir an die Depor­ta­ti­on der Roma und Sin­ti aus Stutt­gart und Würt­tem­berg gedenken.

Ich selbst, die ich einer Gemein­schaft ange­hö­re, die die Depor­ta­ti­on, die Shoa erlebt hat, bzw. die über Eltern und Groß­el­tern die Geschich­te ver­mit­telt bekom­men hat und deren Erleb­nis­se und Erfah­run­gen Ver­stan­des- und gefühls­mä­ßig mit sich trägt, ich kann mit Ihnen mit­füh­len, was die­ser Tag für sie bedeu­tet, ein Tag der Erin­ne­rung an die vie­len Opfer, die sie zu bekla­gen haben.

Es ist gera­de die­ser Platz hier ein wür­di­ger Ort, an dem wir geden­ken, ein Ort, der vor eini­gen Jah­ren hier als Erin­ne­rungs­stät­te errich­tet wor­den ist, um der Opfer des Natio­nal­so­zia­lis­mus zu geden­ken, um an die Opfer zu erin­nern, die hier aus Stutt­gart weg­ge­bracht wor­den sind, mit­ten aus dem Leben, mit­ten aus der Gesell­schaft her­aus­ge­ris­sen wor­den sind.

Wir sehen hier, wenn wir um uns her­um sehen, Häu­ser. Die Men­schen haben gese­hen, was hier pas­siert. Und wenn wir heu­te hier geden­ken, dann ist auch der Sinn dar­in, dass wir erin­nert wer­den, die Mah­nung an die heu­ti­ge Gene­ra­ti­on und an die nächs­te Gene­ra­ti­on wei­ter­zu­ge­ben: nicht weg­zu­schau­en, son­dern zu han­deln, recht­zei­tig zu handeln.

Jeder Gedenk­tag soll­te eine Mah­nung sein dafür, dass wir für die Zukunft gestal­ten, dass wir unse­re Gene­ra­ti­on und die unse­rer Kin­der dazu erzie­hen, nicht weg­zu­schau­en, aktiv zu wer­den, wenn Men­schen aus­ge­grenzt wer­den, wenn Men­schen ver­folgt wer­den. Des­halb, weil sie eine ande­re Haupt­far­be, eine ande­re Mei­nung oder eine ande­re Her­kunft haben.

Des­halb appel­lie­re ich an Sie heu­te, an dem Aus­gang des Shabat, des jüdi­schen Ruhe­tags, neh­men Sie von die­sem Tag, von die­ser Gedenk­stun­de mit, wach­sam zu sein, und jeder Aus­gren­zung, die heu­te in unse­rer Gesell­schaft statt­fin­det, Wider­stand zu leis­ten und die Kraft zu haben, für uns alle eine Gesell­schaft zu gestal­ten, die jeden ande­ren, jeden der in unse­rer Mit­te lebt, mit hin­ein nimmt – eine Gesell­schaft, die für alle da ist, und die jedem Raum gibt und in dem jeder sich ent­wi­ckeln kann.


Publiziert in:
Zeichen der Erinnerung…
Auflage 2009 (S. 107)

 

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